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nach Norden fortschreitet, so ändert sich für diesen Körper die absolute Geschwindigkeit der Erdoberfläche
in der Zeiteinheit um:
d{Rw cos<p)
dt
D ■ d< ¥
— Hw sntffi -r- =
^ dt
V o) sin <p
Um die Strecke vwsincp ist also in einer Sekunde der Körper demjenigen Punkte vorausgeeilt, auf
welchen seine Bewegung zu Anfang derselben gerichtet war. Dieser Weg entspricht einer kontinuirlich
von West nach Ost auf ihn einwirkenden Kraft im Betrage von
2mvw sin(fj
Diese Kraft ist somit dem Werthe von pi in 20) für geradlinige Bewegung (o = oo), welcher dort
die zur Erhaltung genau meridionaler Bewegung erforderliche Kraft bezeichnet, vollkommen gleich. *)
Hinsichtlich meridionaler Bewegung decken sich also die ältere und neuere Anschauungsweise.
Da aber nach dem Princip 1. für Bewegungen nach Ost oder West keinerlei äussere Kräfte er
forderlich sind, während nach unserer Ableitung (Seite 5 und 8) gerade für diese Fälle zuerst eine solche
Kraft als horizontale Komponente der Centripetalkraft sich darstellt, so ist klar ersichtlich, dass nach jener
älteren Anschauung das Trägheitsgesetz in unvollkommener Weise angewandt und namentlich derjenige
Theil desselben, welcher die Erhaltung der Bewegungs - Richtung ausspricht, übersehen wurde. — Die
ablenkende Wirkung der Erdrotation nach der früheren Anschauung bildet also nur einen Theil der wirk
lich vorhandenen.
Die beiden Anschauungen stimmen bei einer Bewegung vom Pol nach dem Aequator, wie die
Fig. 7 zeigt und oben angedeutet wurde, scheinbar auch darin überein, dass die ursprünglich aus
Nord kommende Bewegung mehr und mehr in eine ost-westliche übergeht, indessen nie genau Ost-West
werden kann. Allein dieses ist nur für eine Kugel der Fall und das Ergebniss des auch für den Zustand
relativer Ruhe geltenden Gliedes
m r o)' 2 sin 0 in 7) oder mUm 2 sin cp cos q> sin 0 in 14).
Diese nur für eine plane Scheibe oder vollkommene Kugel geltenden Gleichungen, von denen 7)
für P" und P'i = 0 der Konstruktion der Kurven Fig. 6 und 7 zu Grunde liegt, können nur für die freie Be
wegung eines einzelnen Körpers auf der absolut starren Scheibe oder Kugeloberfläche massgebend sein, indem
die durch jenes Glied ausgedrückte Komponente der „Centrifugalkraft“ auf der Kugel alle beweglichen Massen
(Flüssigkeiten) so lange nach dem Aequator führen würde, bis dort eine Anschwellung entstanden ist, deren
Neigung nach dem Pole eine Komponente der Anziehungskraft entstehen lässt, welche der „Centrifugalkraft“
die Waage hält, oder mit anderen Worten, bis die Kugel nicht mehr Kugel ist, sondern die Oberfläche zur
Resultirenden der Anziehungskraft der Erde und Centrifugalkraft senkrecht steht. (Vergl. S. 12.) In diesem
Falle ist, wie wir gleich sehen werden [Gl. 80)], die Trägheitskurve für alle Azimuthe gleichgeformt.
Es erscheint nun noch wichtig, darüber in’s Klare zu kommen, dass der Ausdruck „Ablenkung“ jetzt
in wesentlich anderem Sinne gebraucht wird, als früher. Sonst verstand man darunter den Winkel, um
welchen die Windrichtung nach einer gegebenen Zeit von der ursprünglichen abwich (vergl. S. 1); jetzt da
gegen spricht man von einem „Ablenkungswinkel“ **) als demjenigen Winkel, um welchen die Richtung des
Luftstromes von derjenigen des Gradienten abweicht, wobei im Grunde wohl die Vorstellung maassgebend
ist, dass die Luft in der Richtung des als gegeben betrachteten Gradienten fliessen sollte, durch die „ab
lenkende Kraft der Erdrotation“ aber alsbald aus dieser Richtung herausgedrängt wird. Wenn überhaupt,
wie wohl anzunehmen ist, die Gradienten der Luftbewegung vorhergehen, so vollzieht sich letzterer Vorgang
jedenfalls ausserordentlich schnell; ist doch der Ausdruck für den Ablenkungswinkel a (S. 13) von der Ge
schwindigkeit ganz unabhängig! Im älteren Sinne erreicht die „Ablenkung“ erst nach einer längere Zeit
anhaltenden Bewegung einen erheblichen Werth.
Die vorstehenden Erörterungen des Problems, in welcher Bahn sich ein auf der kugelförmigen Erd
oberfläche frei beweglicher, nur der Schwerkraft unterworfener Körper bewegt, hatten zunächst nur den
Zweck, die Unrichtigkeit der älteren Anschauungen über den Verlauf von Luftströmungen, welche — abge-
*) In einem jüngst in der Oesterreiduschen Zeitschrift, Band XIY, Juniheft, erschienenen Artikel von Dr. Thiesen, „Ueber
Bewegungen auf der Erdoberfläche“ findet man auffallender Weise für diese Kraft die Hälfte des obigen Werthes an
gegeben.
**) "Vergl. die Abhandlungen von Guldberg und Mohn, Oesterr. Z. für Met., XII. Bd., pag. 52.