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Bestimmung der Deviation für die Zwecke der ausübenden Navigation und zwar noch in ausgedehnterem
Sinne sagen. Allein, ausser diesen Zielen der hier in Rede stehenden angewandten Wissenschaft giebt es
noch weitere und zwar höhere, die sich dahin definiren lassen, dass diese Wissenschaft an der Hand steter
Beobachtungen und Erfahrungen in ihrer Entwickelung gefördert werden muss, wodurch wieder ihre An
wendbarkeit für alle Fälle, für alle Theile der Erde ermöglicht und in ihrem Werthe erhöht wird. Dieser
Theil der Lehre von der Deviation erfordert unzweifelhaft eine streng wissenschaftliche Behandlung und
kann mit Erfolg nur von einem Institute ausgeüht werden, welches zugleich auch die Aufgabe hat, die be
treffenden Beobachtungen zu leiten und zu organisiren, damit wirklich verwerthbares Material für den Aus
bau unserer Kenntnisse nach dieser Richtung zusammengetragen werden kann. Dieser Gesichtspunkt ist
so einfach in seinem Wesen und so maassgebend in seiner Anwendung, dass der Gedanke der Aufnahme
der Pflege der Deviationslehre innerhalb der Handelsmarine von Seiten der Seewarte nicht nur als ein be
rechtigter, sondern geradezu als ein im Interesse des Weltverkehres zur See nothwendiger erscheint.
Aus Gründen, deren Darlegung hier kaum am Platze wäre, konnte sich die Seewarte, indem sie in
die Pflege der Deviation innerhalb der Handelsmarine eintrat, nicht sofort die höchsten Ziele stellen, viel
mehr musste die Ahtheilung II vom Beginne an in den ganzen Umfang der theoretischen und der prakti
schen Arbeiten, welche sich mit dem Aufstellen und dem Kompensiren der Kompasse und der Bestimmung
der Deviation für die Schifffahrt beschäftigen, eintreten. Gleichzeitig war es allerdings auch ihr Interesse
und das der zu fördernden Wissenschaft, für die Organisation gründlicher und verwendbarer Deviations
beobachtungen an Bord und während der Reise zu wirken, weil nur auf diesem Wege in vergleichsweise
kurzer Zeit eine Beleuchtung der oft schwierig zu erklärenden Vorgänge in den Deviationsverhältnissen
eines Fahrzeuges erworben und die Entwickelung der ganzen Lehre gesichert werden kann. Wie die See
warte ihre Aufgabe nach dieser Richtung hin auffasste, wird sich aus den nachfolgenden Darlegungen er
kennen lassen.
a. Das Anbahnen der Thätigkeit der Seewarte and das Eingreifen derselben im Interesse der praktischen
Navigation.
Wie klar und bestimmt sich auch aus dem Vorhergehenden die Aufgaben, welchen die Ahtheilung II
sich auf diesem Gebiete zu widmen hatte, darstellen, so war doch das Betreten des richtigen Weges zum
vorgesteckten Ziele mit erheblichen Schwierigkeiten verknüpft und musste hierbei in erster Linie der An
schein vermieden werden, als wolle sich die Seewarte in eine Angelegenheit mischen, welche von Privaten
oder Privat-Gesellschaften als eine innere angesehen wird, und als welche auch die Beschaffung und Unter
suchung der Kompasse mit Beziehung auf ihre Konstruktion und Deviation angesehen werden muss. Nur
in dem Falle, dass jene Private und Gesellschaften sich mit dem Transporte von Auswanderern befassen,
ist die Möglichkeit gegeben, mit einer Wahrscheinlichkeit des Erfolges dahin zu wirken, dass diese Fragen
im Sinne der von der Seewarte vertretenen Grundsätze entschieden werden, während in allen übrigen Fällen
es dem freien Ermessen der Einzelnen überlassen bleiben muss, ob sie sich der Hülfe des Institutes be
dienen wollen oder nicht. Das letztere, die freie Wahl, durfte um so mehr beinahe durchweg als Maxime
anerkannt werden, als es mit Bestimmtheit zu erwarten war, dass wenn nur einmal die Einrichtungen von
Seiten des Reiches getroffen, sowohl die dadurch gewährte Erleichterung der einschlägigen wichtigen Ver
richtungen erwünscht sein musste, als andererseits die in der Ablehnung der dargebotenen Unterstützun
gen liegende Verantwortlichkeit der Betheiligten, unter gewissen Eventualitäten, nur als eine erhebliche
Bürde empfunden -werden konnte. Die Erwartungen der Seewarte nach dieser Richtung haben sich denn
auch, wie wir weiter unten sehen werden, in der Folge erfüllt, so dass der gleich beim Beginne eingeschla
gene Weg der nahezu vollkommen freien Wahl, bezüglich der Benutzung oder der Nichtbenutzung des Per
sonales und der Einrichtungen der Seewarte, sich als der richtige erwies.
Schon in dem Abschnitte „Zur Geschichte der Deutschen Seewarte“ wurde im Theile 2, II, Seite 10,
erwähnt, dass auf Grundlage der Verordnung vom 30. April 1855 für die unter die Klasse von Auswanderungs
schiffen zu zählenden Fahrzeuge, sowohl in Hamburg wie in Bremen halboffizielle Konferenzen abgehalten
wurden, welche dazu bestimmt waren, die Frage der Behandlung der Deviation an Bord eiserner Schiffe
durch ein Uebereinkommen zu erledigen. In Nr. 23 des Anhanges zu diesem Berichte sind diejenigen
Punkte, worauf die Direktion der Seewarte bei den Beobachtungen an Bord der verschiedenen Schiffe ein