Dir. Fr. Schulze-Lübeck: Die Oberflächenströmungen bei Gjedser-Riff.
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auch wohl wieder östlich.*) Die Veränderungen im Steigen und Fallen des Wassers gehen zu 4 bis 6 Fuss;
und die Schnelligkeit des Stromes, im offenen Meere bis zu \ 2 bis 1 nautische Meile in einer Stunde und
in engen Sunden und in den Belten 4—6 Meilen die Stunde. Im Kattegat setzt der Strom mit südl. und
östl. Winden bei gutem Wetter mitten im Fahrwasser nordwärts. Westliche Stürme in der Nordsee ver
ursachen einen nördlichen (Anna.: soll hier offenbar „von N kommenden“ heissen) Strom. Wenn man aber
der jütländischen Küste nahe ist, wechselt der Strom in einem Tage sehr öfters (!) und oft mit einer Ge
schwindigkeit von 4 — 6 nautischen (!) Seemeilen (sic) die Stunde.
Desshalb muss sich der Steuermann im Kattegat und in der Ostsee nur auf eine behutsame Weise
nach dem Strom richten. Mit gutem Winde ist es vielmehr rathsam, ganz getrost und unbekümmert um
den Strom in der Mitte des Fahrwassers nach gut seemännischem Besteck fort zu steuern.“
Ganz ebenso äussert sich mein Amtsvorgänger Eduard Thiel, der die Ostsee als Kapitän und Steuer
mann befahren, in seiner „Navigationsschule“ (Hamb. Gerrits, 1857), pag. 93: „Im Kattegat läuft bei süd
lichen, östlichen und nordöstlichen Winden, überhaupt so lange gutes Wetter anhält, auch bei jedem andern
Winde mitten im Fahrwasser beständig eine nördliche Strömung, aber starke West- und Nordwest-Winde
in der Nordsee verursachen daselbst eine Strömung nach Süden. An den Küsten, besonders an der jüt
ländischen, wechselt der Strom in einem Tage oft mehrere Male und hat daselbst bisweilen eine Schnellig
keit von 4—5 Meilen die Stunde.“ — Die Richtigkeit dieser beiden, offenbar in nahem Zusammenhänge
stehenden Notizen meiner zwei Vorgänger bestätigt sich vollkommen durch die Angaben eines soeben er
schienenen offiziellen Werkes: „Den danske Havne Lods“, deutsche Uebersetzung: „Die Dänischen Häfen“,
herausgegeben vom Reichsmarineamt, Berlin, 1896. Diesem Bande sei Folgendes entnommen: Bei Skjelskör,
Westküste von Seeland, kentert der Strom bei ruhigem Wetter alle 6 Stunden und kann eine Geschwindig
keit von 5 Knoten erreichen. Bei Svendborg, Fülmens Südküste, und gegenüber bei Vindeby ist eine Strom
stärke von 4 Knoten, bei Frederiksvärg, an Seelands Nordküste, von 3 Knoten gemessen worden. Ueberall
kehrt die Angabe: „Bei ruhigem Wetter kentert der Strom regelmässig“, wieder.
Kapitän Thiel äussert weiter: „Mit nördlichen und nordwestlichen Winden in der Nordsee laufen die
Strömungen der Ostsee zwischen Bornholm und Travemünde, aus dem Sunde und den Belten südlich nach
der pommerschen Küste und Mecklenburg zu, nehmen unter ersterer eine südöstliche Richtung nach der
Swinemünder Bucht und von letzterer ab nach SW'. Hat dieser Wind einige Tage gestanden, so treibt in
dieser Gegend der Strom auch wohl wieder östlich, besonders wenn in der Ostsee SW-Wind weht. Mit
südlichen und östlichen V'in den läuft der Strom nach dem Sunde und den Belten zu.“
Nach hier zu überschlagenden Angaben über die Hauptzweige der Strömungen in den einzelnen Theilen !
der Ostsee fasst Thiel dann nochmals kurz zusammen: „Die Strömungen der Ostsee hängen hauptsächlich
von den in der Nordsee herrschenden Winden ab. Man kann in der Ostsee nach dem örtlichen W'inde
niemals mit Sicherheit auf die Strömung schliessen.“
„Deshalb ist es stets rathsam“, empfiehlt der erfahrene Praktiker seinen Schülern, „mit einem offenen
(günstigen) Winde seinen Kurs so zu nehmen, als wenn keine Strömung vorhanden. Mit knappem Winde
aber so, dass die muthmassliche Strömung nicht nachtheilig werden kann; dabei hat man jedoch wachsam
zu sein, damit man eine durch Stromversetzung herannahende Gefahr bei Zeiten gewahr werde und, wenn
möglich, derselben ausweichen kann.“ Aehnliche Warnungen giebt der ausgezeichnete dänische Navigateur
Steph. Middelboe, „Handbuch für die Navigation“, Flensburg, 1854, p. 57.
Diese Zeilen mahnen den Navigateur zur Vorsicht, besagen aber durchaus nichts anderes, als was wir
aus den oben mitgetheilten Seeamts-Sprüchen zu entnehmen hatten: Unsere Ivenntniss von den Strömungen
der Ostsee ist unvollkommen, weil die Besteckversetzungen zu unregelmässig und unkontrollirhar erfolgen.
Prof. Karsten äussert in dem letzten Hefte der „Wissenschaftlichen Meeresuntersuchungen u. s. w.“
(Neue Folge, I. Band, Heft 2), pag. 178: „Richtungsänderungen, genaue Angaben über Intensität der Strö
mungen, Wirkungen derselben u. s. w. sind noch völlig unbekannt Es bedarf wohl kaum der Aus
einandersetzung, wie werthvoll es sein würde, von diesen Umständen genauere Ivenntniss zu haben.“
Leider ist, wie auch Krümmel zugiebt (Ozean., Band II, p. 465), heutigen Tages von den Strömungen
im Bereiche der eigentlichen Ostsee wenig bekannt. Im Sommer, wo die Landwasser reichlicher vorhanden
sind, und im Winter bei ruhigem Wetter setzt ein kräftiger Nordstrom durch den Sund und aspirirt in
: ) Siehe die Schlussfolgerung dieser Abhandlung.