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Full text: 20, 1897

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Aus dein Archiv der Deutschen Seewarte — 1897 No. 3 — 
Fahrwasser, dem offenen Weltmeere, braucht er wenig Gewicht darauf zu legen, wenn er vermuthen muss, 
dass Wind, Strömung oder noch andere Einflüsse sein Fahrzeug vom rechten Kurse abdrängen. Aber in 
diesem Gebiete weiss er nur zu gewiss, dass schon einer der erwähnten Uebelstände für ihn Gefahr bringen 
kann. Deshalb erfordert die Navigirung hier vom Schiffsführer, Kapitän oder Kommandanten, einerlei ob 
das ihm anvertraute Fahrzeug gross oder klein, die angespannteste Aufmerksamkeit auf Alles, was auf und 
mit dem Schiffe selbst und ausserhalb in der Nähe vorgeht. Der Navigateur darf seinen Schiffsort, selbst 
wenn er einwandfreie astronomische Beobachtungen erhalten hat, schon nach einigen Stunden nicht mehr 
als völlig sicher ansehn, noch auf seine Logge-Bechnung als fehlerfrei vertrauen. Das Schiff ist der Fahrt 
messung, dem sog. „Bestecke“, nicht selten weit voraus gewesen und dann häufig verloren gegangen.“ 
Die seeamtlichen Untersuchungen haben solchen beklagenswerthen Verlust dann oftmals einzig und 
allein der Unbestimmbarkeit von Richtung und Stärke der Strömungen zuschreiben müssen. 
In der Ostsee liegen die Verhältnisse nun nicht ganz so verwickelt. Die Siclitigkeit ist liier günstiger, 
die Küsten sind zum Theile höher und die abzusegelnden Distanzen von Vorland zu Vorland kürzer, als in 
der Nordsee. Dadurch ist bei klarem Wetter natürlich viel häufiger Gelegenheit geboten, das „Besteck“ zu 
berichtigen. Vor allem aber hat man in der Ostsee nicht mit merkbarer Ebbe und Fluth zu rechnen und 
braucht in Folge dessen nie so grosse Stromversetzungen zu befürchten, wie sie in der Nordsee zu den täg 
lichen Vorkommnissen der Navigation gehören. 
Trotzdem darf man die Schwierigkeiten der Schiffahrt in den Gewässern des baltischen Meeres bezüg 
lich der Stromverhältnisse doch nicht unterschätzen. 
Eine ganze Reihe von Unfällen und Schiffsverlusten sind auf Irrthümer im angenommenen Schiffsorte, 
verursacht durch unbekannte Strömungen, zurückgeführt worden. Strandungen hätten bei genauerer Ivennt- 
niss der Oberflächenbewegung des Meeres vielleicht vermieden werden können. 
Nimmt man nur einige Hefte der vom Reichsamte des Innern herausgegebenen „Entscheidungen des 
Ober-Seeamtes und der Seeämter des Deutschen Reiches“ zur Hand, so findet man eine recht beklagens- 
wertlie Reichhaltigkeit derartiger Fälle verzeichnet. Nur einige seien zum Beweise obiger Behauptung hier 
im Auszuge angeführt, z. B.: 
Jahrgang 1880. Spruch No. 151. Schooner „Caroline“ von Stralsund. Schiffsverlust am 5. April 1880 
durch Stromversetzung. 
Spruch No. 182. Galeasse „Ernst“. Schiffbruch am 20./21. Oktober 1880, veranlasst durch orkan 
artigen Sturm mit Stromversetzung. 
„Das Stranden an der Fehmarnschen Küste erklärt sich so, dass die bei dem herrschenden Winde 
aus dem grossen Belt kommende Strömung das Schiff immer weiter nach Süden abtreiben Hess.“ 
Spruch No. 208. Dampfer „Neapel“. Untergang des Schiffes am 10. Oktober 1880 im Kattegat. 
„Die Ursache, welche allem Vermuthen nach am wesentlichsten zu der östlichen Abweichung des 
Schiffes beigetragen hat, wird in einer, wenigstens anfänglich, als man sich noch auf der Höhe von Skagen 
befand, dem Schiffe zu Theil gewordenen Stromversetzung zu erblicken sein. Dass eine östliche, auf die 
schwedische Küste zu setzende Strömung, wie sie bekanntermaassen im nördlichen Theile des Kattegat 
vorzuherrschen pflegt, gerade am Morgen der Strandung mit mehr als gewöhnlicher Stärke sich geltend 
gemacht haben wird, ist mit um so mehr Wahrscheinlichkeit anzunehmen, als an den vorhergehenden 
Tagen stürmische östliche bis nordöstliche Winde geherrscht hatten, welche naturgemäss bei der hierauf, 
ausweislich des Journals, in der Nacht vom 9. auf den 10. eingetretenen Windstille eine Rückstauung des 
vorher von der Küste weggetriebenen Wassers und damit eine Verstärkung der regelmässigen Strömung 
hervorrufen mussten.“ 
Man wird diesen Fall als nicht genau zum Beweise von Ostseeströmungen geeignet erachten. Trotz 
dieser Bedenken ist er hier mit aufgeführt, weil die Kattegats - Stfömungen eng mit denen der eigentlichen 
Ostsee, z. w. ihres westlichen Theiles Zusammenhängen, wie später ausführlich dargethan werden soll. 
Spruch No. 226. 17./18. Oktober 1880. 
„Die Strandung des Lübecker Dampfers „Alpha“ ist nur durch eine nicht wahrnehmbar 
gewesene Stromversetzung verursacht.“ .... „Erfahrungsmässig treten in diesem Fahrwasser — grossem 
Belt — sehr häufig starke, nicht berechenbare und nicht wahrnehmbare — d. li. an Bord des in Fahrt 
befindlichen Schiffes — Strömungen, namentlich als Vorläufer von Stürmen plötzlich ein, die den Kurs
	        
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