Archiv 1897. 2.
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No. 2.
Die Flaschenposten cler Deutschen Seewarte.
Auf Grund des bis Ende 1896 eingegangenen Materials
im Aufträge der Direktion bearbeitet
von
Dr. Gerhard Schott.
A. Historisches.
Unter den verschiedenen Hülfsmitteln, welche man anwendet, um Richtung und Geschwindigkeit von
Meeresströmungen festzustellen, ist jedenfalls eines der ältesten die sogenannte „Flaschenpost“, d. i. ein in
eine Flasche gesteckter Zettel, welcher Datum und Ort der Abgangsstelle enthält, und auf welchem der
Finder später ebenfalls Datum und Fundstelle anzugeben gebeten wird. Die Anwendung dieser Methode der
Strombeobachtung geht, soweit augenblicklich nachweisbar ist, bis zum Anfang dieses Jahrhunderts zurück,
indem das englische Schiff „Rainbow“ 1S02 einige Flaschen auswarf, „in der Absicht, die Bestimmung von
Meeresströmungen dadurch zu fördern“. 1 ) Es ist aber nicht anzunehmen, dass dies gritde der allererste
Versuch gewesen ist; damit erhalten wir für diese Flaschenexperimente ein Alter von rund 100 Jahren.
Nur die Verwendung der Wassertemperatur zur Ermittelung von Strömungen ist sehr viel älter als die
Flaschenpost; schon 1606 giebt der Franzose Lescarbot-) auf einer Reise nach der Ostkiiste Nordamerikas
an der Hand von Temperaturmessungen Grenzen für das kalte Wasser der Neufundlandbänke und das warme
Wasser des Golfstromes an.
In ungefähr demselben Maasse, in welchem die Ansichten über den Werth der Wassertemperaturen für
die Festlegung von Strömungen und über den Werth der zumal von Franklin sehr gepflegten sogenannten
„thermometrischen Schiffahrt“ überhaupt geschwankt haben, sind auch über den Werth der Flaschenpost
sendungen die verschiedensten Urtheile gefällt worden.
Indem wir — ohne irgendwie Vollständigkeit zu erreichen oder auch nur zu beabsichtigen — einige
wichtige Vorgänge auf diesem Gebiete der Strombestimmungen anführen, werden wir gleichzeitig diese ver
schiedenen Werthschätzungen der Flaschenposten kennen lernen; das Urtheil, welches auf die im Folgenden
ausgeführte spezielle Bearbeitung des Archivmaterials der Seewarte sich gründen lässt, wird naturgemäss
erst am Schlüsse seine Stelle linden. —
Fast alle Flaschenposten, welche am Anfang dieses Jahrhunderts abgesandt wurden, sind im Bereiche
des Golfstromes, soweit darüber Nachrichten vorliegen, ausgeworfen worden; es war eben diese in jeder
Beziehung hervorragendste Meeresströmung, welche, noch dazu in einem sehr befahrenen Meerestheil sich
ausdehnend, besonders zu dem Experiment der Absendung von Treibkörpern angelockt hat.
1837 veröffentlichte Heinrich Bergbaus, als der erste in Deutschland, in dem ersten Bande seiner
„Allgemeinen Länder- und Völkerkunde“ (S. 535) ein Register der 21 ihm bis dahin bekannt gewordenen
Flaschenreisen, legte auch in seinem „Physikalischen Atlas“ (Abtheilung Hydrographie, Blatt No. 3) mehrere
interessante Flaschenposten kartographisch nieder, darunter eine höchst merkwürdige, ja räthselhafte Trift,
welche, etwa 120 Sm. südwestlich vom Kap Farewell abgesandt, auf Teneriffa gefunden worden ist.
In England hatte der verdienstvolle Renn eil schon mehrere Jahre früher für sein von ihm selbst
freilich nicht mehr herausgegebenes Hauptwerk „An Investigation of the currents of the Atlantic Ocean“
1) J. Gi. Kolil, Geschichte des Golfstromes. Bremen 1S68. S. 121.
2 ) A. a. 0. S. 68.