Dr. G. Neumayer: Anemometer-Studien auf der Deutschen Seewarte.
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Archiv 1897. 4.
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Aber auch wenn die Versuche im geschlossenen Raum ausgeflihrt werden, befindet sich das Anemometer
unter einer Reihe von Umständen, die von den bei seinem Gebrauche obwaltenden sehr verschieden sind.
Zunächst bewegt es sich in ruhender Luft, während es bei der Anwendung selbst ruht und der Ein
wirkung bewegter Luft ausgesetzt ist. Die Annahme, dass die bewegte Luft auf ein feststehendes Anemo
meter dieselbe Wirkung ausübt, wie sie ein mit derselben Geschwindigkeit gegen ruhende Luft bewegtes
Anemometer erfährt, erscheint durchaus berechtigt und mit den Anschauungen der theoretischen Mechanik
über relative Bewegung vollkommen im Einklang. Da das Gegentheil, soviel wir wissen, bis jetzt noch nicht
experimentell in allgemein anerkannter Weise festgestellt ist [vergl. die Untersuchungen von Duchemin 1 )],
so scheint es vollkommen einwurfsfrei, sich der obigen Annahme zu bedienen, wenn auch zugegeben werden
muss, dass alle Messungen der Windgeschwindigkeit, so lange diese Frage nicht entschieden ist, einen nur
relativen Werth beanspruchen können.
Von sehr bedeutendem Einfluss ist die kreisförmige Bewegung der Anemometeraxe auf dem Rotations
apparate. Wird das Anemometer, wie es gewöhnlich mit Recht geschieht, vertikal auf dem Arm desselben
angebracht, so bewegen sich die der Rotationsaxe näheren Schalen mit einer geringeren Geschwindigkeit
und erhalten dementsprechend weniger Wind als die auf der andern Seite der Anemometeraxe befindlichen.
Ist nun der Rotationssinn des Schalenkreuzes dem des Apparates entgegengesetzt, so laufen die ausserhalb
der Peripherie des von der Anemometeraxe beschriebenen Kreises gelegenen Schalen mit ihrer konkaven
Seite mit grösserer linearer Geschwindigkeit gegen die als ruhend angenommene Luft, als die innerhalb der
Peripherie gelegenen, mit ihrer konvexen Seite gegen die Rotationsrichtung laufenden Schalen. Demgemäss
fallen die Registrirungen grösser aus, als wenn die Anemometeraxe mit derselben Geschwindigkeit sich gerad
linig bewegen würde.
Umgekehrt werden dieselben kleiner, wenn die Rotation im Sinne der Drehungsrichtung des Schalen
kreuzes geschieht; die nach innen liegenden konkaven Schalen erhalten einen im Verhältniss zur geradlinigen
Bewegung zu kleinen Antrieb, während die äusseren konvexen Schalen einen verhältnissmässig zu grossen
Widerstand erfahren.
Bezeichnen wir mit r die Länge des Anemometerarmes, mit R die Entfernung der Anemometeraxe
von der Rotationsaxe des Apparates, so erkennt man leicht, dass der Unterschied in den Angaben bei beiden
T
Rotationsrichtungen durch den Quotienten -j> bestimmt wird; je grösser derselbe ist, um so grösser wird
jene Differenz sein müssen; nur für R = oo, d. h. für eine geradlinige Bewegung der Anemometeraxe
wird dieselbe verschwinden.
Sei für irgend eine Geschwindigkeit v die Zahl der registrirten Einheiten, wenn der Rotationssinn des
Anemometers und des Apparates überein stimmt, gleich n', sei ferner n die Zahl der Einheiten bei gerad
liniger Bewegung von derselben Geschwindigkeit, so können wir nach dem obigen setzen:
n - n'+A(~) + 7?(¿) + c(¿) + (I)
Lassen wir nun R immer grösser werden, indem wir die Winkelgeschwindigkeit gleichzeitig so ändern,
dass die lineare Geschwindigkeit immer dieselbe bleibt, so wird der Worth n' dem von n immer näher
kommen und ihn für R — oo erreichen. Hier wechseln R und die Winkelgeschwindigkeit ihr Zeichen,
d. h. wir erhalten, wenn wir jetzt R wieder abnehmen lassen, den Fall der entgegengesetzten Rotations
richtung von Schalenkreuz und Apparat. Die Beziehung zwischen n und der jetzt für dasselbe v statt
findenden Registrirung n" ist also:
n
Aus (I) und (II) folgt:
n =
= - c (i)
:Mi)
+.
+
(II)
(III)
Hiernach wird die Registrirung für die geradlinige Bewegung von dem arithmetischen Mittel der Regi
strirungen für die beiden entgegengesetzten Rotationsrichtungen abweichen, falls nicht die Koeffizienten der
*) Experimental - Untersuchungen über die Gesetze des Widerstandes der Flüssigkeiten, vom Colonel Duchemin.
Deutsch von Schn use. Braunschweig, 1S44. pag. 9.