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Full text: Köppen-Heft der Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie

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Köppen-Heft der Annalen der Hydrographie usw. 1928. 
sprechender Wärmeabfiuß möglich ist. Das setzt eine Bewegung (z. B. Herunter- 
[allen des Kristalls) relativ zu der umgebenden, mit Wasserdampf gesättigten Luft 
voraus; letztere wird bei der Bewegung adiabatisch ausgedehnt, abgekühlt und 
übersättigt. Der Dampfüberschuß wird am größten an denjenigen Stellen, an 
denen die größte Ausdehnung stattfindet, z. B. arı den Rändern, wenn ein Schnee- 
kristallplättehen in horizontaler Lage schwebend herunterfällt, Solches Plättchen 
könnte nur an den Rändern wachsen; es würde seine platte Struktur beibehalten, 
Die Sublimationswärme, die an den Rändern sich ausscheidet, wird durch Wärme- 
leitung zur Mitte geführt und von der ganzen Oberfläche ausgestrahlt oder kon- 
vektiv abgeführt. 
Daß diese Erklärung des Wachstumprozesses beim Schneekristall richtig ‚ist, 
ersicht man auch aus einem von mir beobachteten Beispiel. von Rauhfrost- 
bildung ®%. Der Rauhfrost trat nicht nur an dünnen Drähten und anderen dünnen 
Gegenständen auf, sondern sogar auf der Windseite eines 1'/, m breiten, hölzernen 
Zylinders; er fehlte hier indes in der Mitte der von dem Luftstrom getroffenen 
Zylinderfläche fast völlig. Das Rauhfrostmaximum lag etwa 60-—80°* von dieser 
Mittellinie entfernt, mithin an denjenigen Stellen, an denen man die maximale 
adiabatische Ausdehnung annehmen darf. — Es wäre sehr wertvoll, wenn es ge- 
lingen würde, durch spezielle Versuche Rauhfrost künstlich zu erzeugen und 
gleichzeitig an verschiedenen Stellen. des Luftstromes dessen Temperatur und 
Feuchtigkeit festzustellen. 
Obige Erklärung des Wachsens der Schneekristalle basiert auf der Annahme, 
daß die Kristallisation ein Wärmeleitungsprozeß ist, eine Ansicht, die ich immer 
in meinen Vorlesungen ausgesprochen habe und die mir völlig durch die Versuche 
von Burges!7) bestätigt zu sein scheint, Als indirekter Beweis für ihre Rich- 
tigkeit können auch folgende eigene Beobachtungen über die Kristallisation unter- 
kühlten Wassers dienen. Die Kristallisation führte ich zunächst in einer eng aus- 
gezogenen, von oben her in das Wasser eingeführten Giasröhre herbei; es entstand 
am Ende ein einziges Plättchen oder Sternchen !®); die lineare „Kristallisations- 
geschwindigkeit“ war beträchtlich. Als nun aber in das unterkühlte Wasser ein 
größeres Stückchen Flußeis von oben eingeführt wurde, wuchs dieses nur unmerklich 
langsam, abgesehen von Einzelfällen, in denen plötzlich ein schmaler Strahl sehr 
rasch von dem einen oder anderen Punkt aus — meistens an den Seitenrändern — 
sich bildete, Im Falle der ebenen Isothermenfläche wird die Erstarrungswärme 
von der Eisunterfläche, welche die Temperatur 0° haben muß, nur sehr langsam 
zu dem unterkühlten Wasser hingeleitet; an den scharfen Kanten und Spitzen 
eines Sternstrahls müßte jedoch theoretisch der Temperaturgradient, mithin auch 
die Kristallisationsgeschwindigkeit unendlich groß sein. Mit dieser Erklärung des 
Einflusses der Ecken scheint mir das Verständnis für die Entstehung der kom- 
plizierten skelettförmigen und mehrstrahligen Eiskristallsternchen erleichtert 
zu werden. 
Dieselbe Ursache bedingt auch das rasche Wachstum einzelner Eisnadeln an 
der Oberfläche auch von schwach unterkühltem Wasser kleinerer und größerer 
stehender Gewässer (Lachen und Teiche), sobald darauf aus der Luft ein Eis- 
kristall, fällt *), 
Ohne das Hinzukommen eines Eiskristalls hört auch die künstliche Unter- 
kühlung einer Wassermenge nicht auf, da das spontane Kristallisationsvermögen 
des Wassers sogar bei Unterkühlung von 3—4° vermutlich sehr gering ist. Die 
Erfahrung?) lehrt in der Tat, daß eine große Menge unterkühlten Wassers lange 
in offenem Gefäße im Zimmer aufbewahrt, aus einem Gefäß in ein anderes hin- 
übergegossen und mit Thermometern usw. umgerührt werden kann, sofern nur 
die Wände des Gefäßes schlechte Wärmeleiter sind und die Oberfläche der um- 
gebenden Kühlmasse niedriger als die des unterkühlten Wassers steht. Die Schicht 
des Wasserdampfes an der Oberfläche, wo die Bildung des Eiskristalls infolge 
einer Übersättigung einsetzen könnte, ist meistens so dünn, daß nur sehr selten 
die Unterkühlung dadurch gestört wird, 
*) Einleitung der Kristallisation durch Impfung. Aum, d, Schrifiltg.
	        
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