Jahresbericht der Deutschen Seewarte für 1930.
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A. Allgemeiner Teil.
I. Zur Geschichte der Deutschen Seewarte.
1. Die im vorigen Jahresbericht für 1930 angekündigte Lostrennung des
Öffentlichen Wetterdienstes von der Seewarte wurde am 1. April 1930 durch
geführt (s. Bericht der Abt. III, S. 19).
2. Im Haushalt für 1930 waren zur maschinellen Aufschließung der auf die
Zahl 39 000 angewachsenen Schiffstagebücher 50000 EM eingesetzt. Die dringende
Notwendigkeit, diese überaus wertvollen, in langen Jahrzehnten von deutschen
Kapitänen und Schiffsoffizieren auf See gemachten Beobachtungen durch sta
tistische Zusammenstellungen der Schiffahrt und der Wissenschaft greifbar und
nutzbar zu machen, ist von allen beteiligten und interessierten Stellen anerkannt.
Dankbar gedenkt die Deutsche Seewarte der Nautischen Verbände, der Vorstände
der Hamburg-Amerika Linie und des Norddeutschen Lloyd sowie des Herrn
Vorsitzenden des Deutschen Reederverbandes, die sich in so tatkräftiger Weise
für die Bewilligung dieser Mittel eingesetzt haben. Aber trotz stärkster Betonung
der Notwendigkeit der Aufschließung dieses wahrhaft kostbaren Schatzes zur
Sicherheit der Seeschiffahrt durch den Herrn Reichsverkehrsminister lehnte der
Haushaltsausschuß des Reichstages diese Forderung wegen der Finanznot des
Reiches ab. Auch der am 23. Oktober 1930 unter Leitung des Herrn Staats
sekretär Dr. Gutbrodt tagende Beirat der Deutschen Seewarte beschäftigte sich
eingehend mit dieser Angelegenheit. Er faßte folgenden Beschluß: „Der Beirat
der Deutschen Seewarte bedauert wiederholt, daß der Seewarte die erforderlichen
Mittel zur Auswertung der laufend eingehenden meteorologischen Tagebücher
und Meldungen über Strömungsverhältnisse auch jetzt noch nicht zur Verfügung
gestellt sind, obwohl die Auswertung dieses praktischen Materials eine dringende
Notwendigkeit für die Sicherheit der Schiffe und der Menschenleben auf See ist.
Die Vorenthaltung dieser Mittel ist um so unerträglicher, als hier die Mög
lichkeit gegeben ist, mit geringen Kosten Totalverluste und schwere Unfälle
ganzer Schiffe und vieler Menschenleben zu vermeiden, die ohne Kenntnis neuester
Fahrwasser- und Strömungsänderungen mit anderen Sicherheitsmitteln nicht immer
abzuwenden sind.“
3. Wenn auch die immer wieder betonte allgemeine Personalnot nicht behoben
werden konnte, so wurde doch der seit Jahren beantragte Physiker für die
Abt. II — Technische Navigation — bewilligt. Ferner trat ein unerwarteter
Personalzuwachs dadurch ein, daß von der Reichsvermögensverwaltung aus dem
aufgelösten Reichsministerium für die besetzten Gebiete und dem Reichsausgleichs
amt Berlin an die Seewarte überwiesen wurden: Ein Reg.-Rat als juristischer
Beamter, 1 Oberverwaltungssekretär und 1 Kanzlist.
4. Auf Anregung der Deutschen Seewarte beschloß im September 1929 die
Intern. Meteorologische Konferenz, die 50jährige Wiederkehr des Intern. Polar
jahres 1882/83 durch ein neues Polarjahr 1932/33 zu begehen. Die Direktoren
konferenz der Deutschen Meteorologischen Institute gründete daraufhin eine
deutsche Polarkommission für das Intern. Polarjahr 1932/33 und wählte den
Präsidenten der Deutschen Seewarte zum Vorsitzenden. Dieser ernannte den
Reg.-Rat Dr. Heidke von der Deutschen Seewarte zum Sekretär dieser Kommission,
was naturgemäß eine Belastung der Seewarte bedeuten mußte, da Dr. Heidke
aus dem meteorologischen Dienst herausgenommen werden mußte.
5. Ende März 1930 trat der Reg.-Rat Dr. Georgi mit Prof. Dr. Alfred Wegener
die Ausreise zu der großen Grönland-Expedition an. Als Leiter der Station Mitte
errichtete er die wissenschaftliche Station auf dem Inlandeis von Grönland auf
71°N-Br. und 40° W-Lg, um dort ein Jahr lang meteorologische und aerologisehe