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Full text: 8, 1880

senkrecht auf das Ufer zuströmt, so ist dies der Fall, den wir an allen Küsten 
beobachten, und so erklärt sich die oben erwähnte weitverbreitete Ansicht, dass 
Hochwasser und Stillwasser überall zusammenfallen müssen, von selbst, Entfernt 
von der Küste: sollten wir aber in grösserer oder geringerer Reinheit das 
Gesetz der ungestörten Welle finden, je nach dem Grade der Beeinflussung, 
welche sie durch die Begrenzung ihres Bettes erfahren hat. . 
4. Die Welle wird, der Theorie zufolge, in der soeben auseinandergesetzten 
Weise beeinflusst: 
a) durch Verengung des Bettes, in welchem sie sich bewegt, also z. B. 
wenn die Welle aus dem Ocean in einen Kanal tritt, dessen Ufer 
sich mehr und mehr nähern („Tides and waves“, Art. 257), 
durch Verflachung des Bettes, in der Richtung, nach welcher die 
Welle fortschreitet („Tides and waves“, Art. 238 ff.), 
durch die Reibung des Wassers an den Wänden und dem Boden 
des Kanals. ©. 
Die entgegengesetzten Ursachen werden auch die entgegengesetzten 
Wirkungen haben, z. B. wird eine Erweiterung des Kanals die Wirkung einer 
früheren Verengerung wieder aufheben.!). . 
—_ Fhe wir zur Erklärung der hier in Rede stehenden Strömungserscheinungen 
durch die vorstehenden, der theoretischen Untersuchung über die Wellentheorie 
entnommenen Sätze schreiten, müssen wir uns die Frage vorlegen, ob wir denn 
überhaupt berechtigt sind, die Fluth und Ebbe als eine grossartige Wellen- 
bewegung anzusehen, von welcher wir also auch erwarten können, dass sie sich 
nach den Gesetzen, welche die mathematische Theorie ergiebt, richtet, wenigstens 
insoweit, -als die, für die mathematische Behandlung nothwendigen, einfachen 
Annahmen, als eine Repräsentation der in der Natur vorhandenen Verhältnisse 
gelten dürfen. Wir können hier selbstrerständlich den Nachweis dafür nicht 
vollständig liefern; wir begnügen uns damit, zu zeigen, dass wenigstens in zwei 
Beziehungen, welche uns augenblicklich am meisten interessiren, die Fluthwelle 
sich so verhält, wie eine theoretische Wasserwelle, nämlich mit Bezug auf die 
Zeit‘ des Stromwechsels im Vergleich zu der Zeit des Hoch- resp. Niedrig- 
wassers und in Bezug auf die Stromgeschwindigkeit, welche wir aus der Theorie, 
genau mit der Beobachtung übereinstimmend, berechnen können. 
Der erste Punkt ist nicht so leicht erledigt, wie man wohl glauben könnte, 
weil es an Beobachtungen fehlt. Wir haben schon oben gesagt, dass an den 
Küsten beobachtet wird, dass der Stromwechsel nahezu mit Hoch- und Nieärig- 
wasser zusammenfällt, und haben die Ursache davon bereits angedeutet. Entfernt 
von der Küste sind wohl Strömungsbeobachtungen, aber keine Beobachtungen 
über .Eintrittszeit von Hoch- und Niedrigwasser vorhanden; es fehlt also das 
eine Vergleichsmoment, und sind wir daher darauf angewiesen, die Zeit des 
Stromwechsels mit der Zeit des Hochwassers an den nächsten Küstenpunkten 
zu vergleichen, was allerdings nicht immer mit Sicherheit auszuführen ist. 
Indess haben wir in Flüssen, also in so engen Kanälen, dass über die Gleich- 
zeitigkeit von Hochwasser in der Mitte und am Ufer kein Zweifel sein kann, 
mehrfache Beobachtungen, dass Hochwasser und Stromwechsel nicht gleichzeitig 
sind, und zwar, dass der Unterschied grösser ist für diejenige Station, welche dem 
Meere näher liegt, also auch die Fluthwelle weniger beeinflusst empfängt. So 
giebt Airy an, dass in Deptford der Stromwechsel 37-—40 Minuten nach Hoch- 
wasser und nach Niedrigwasser eintrete, und in Lentz’ „Fluth und Ebbe etoc.“, 
8.36, finden wir für Cuxhaven den Stromwechsel zu 1St. 30Min. nach Niedrigwasser 
und 1St. 25 Min. nach Hochwasser angegeben. Die Welle ist in beiden Fällen schon 
e) 
1) Eine bemerkenswerthe Illustration findet diese Behauptung durch die Angaben der „Tide- 
tables“ betreffs der Strömungen über Hurds deep. Es ist‘ dies eine räumlich wenig ausgedehnte 
(ca 40 Sm lange und 21/2 Sm breite), aber ‚tiefe Einsenkung des Meeresbodens nördlich von der 
Insel Alderney und nordwestlich von Kap La Hague. . Während überall ausserhalb dieser Einsenkung 
Strömungen von 2,6 bis 5 Sm, ja 4 Sm WNW von Kap La Hague, also dicht am Rande von 
Hurds AU eine solche von 5 bis 7 Sm angegeben werden, beträgt die Geschwindigkeit des Stroms 
über Hurds deep selbst nur 2,15 bis 2,40 Sm. Ferner ist bier der. Stromwechsel ein wenig früher, 
als Hoch- und Niedrigwasser bei Dover, was darauf hindeutet, dass die Eintrittszeit von Hoch- und 
Niedrigwasser am Ort gegen die Umgebung beschleunigt ist. Beides ist der plötzlichen Vermehrung 
der Tiefe zuzuschreiben, welche einen Theil. der durch die Bodenbeschaffenheit. der Umgebung ein- 
getretenen Beeinflussung der Welle wieder aufhebt.
	        
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