Ann, d. Hydr. usw., LXXI. Jahrg. (1943), Heft I.
Über den Aufbau und die Frage der Tiefenzirkulation
des Schwarzen Meeres,
Von Gerhard Neumann, Hamburg, Deutsche Seewarte.
(Hierzu Tafel 1 mit Abb, 2 bis 5, Tafel 2 mit Abb. 6 bis 10, Tafel 3 mit Abb. 12 bis 15.)
Einleitung.
Eine erste allgemeine Vorstellung vom ozeanographischen Aufbau des Schwarzen
Meeres gaben die systematischen Forschungen der von J. B. Spindler und F. F.
Wrangel (ss) in den Jahren 1890 und 1891 ausgeführten Expeditionen, Sie
deckten u. a. die merkwürdige Tatsache auf, daß in Tiefen’ von mehr als etwa
100 Faden (= 183 m) bedeutende Mengen freien Schwefelwasserstoffs auftreten.
Lebensmöglichkeiten für Plankton und Benthos bieten sich demnach nur in einer
relativ flachen oberen Schicht, und die mächtige Wassermasse von rund 200 bis
mehr als 2000 m Tiefe ist ein „Reich des Todes“ (34), in dem jedes Leben ver-
schwunden ist und die organische Welt nur durch die niedrigsten Formen des
Pflanzenreichs vertreten wird.
Obwohl das Schwarze Meer mit einem so eigenartigen Aufbau der meeres-
kundlichen Forschung eine Fülle neuer Probleme bot, vergingen nach dieser
ersten Expedition doch mehr als 30 Jahre, ehe sich das Interesse erneut diesem
einzig dastehenden Meeresbecken zuwandte, Regelmäßige, systematische. Unter-
suchungsfahrten wurden erst wieder seit dem Jahre 1923 veranstaltet, und die
Kenntnis von der Ozeanographie dieses in vieler Hinsicht eine Sonderstellung
einnehmenden Meeres konnte durch die Arbeiten verschiedener Expeditionen
wesentlich erweitert werden. Hier sind an erster Stelle die Untersuchungen
der Schwarzmeer-Asowschen-Fischereiexpedition unter Leitung von N. M. Knipo-
witsch zu nennen, der eine umfassende Übersicht über die Tätigkeit und die
wissenschaftlichen Ergebnisse dieser Expedition 1933 (ı7) gegeben hat. In
deutscher Sprache hat dieser bekannte russische Hydrologe in einer Reihe von
Veröffentlichungen (16) unmittelbar nach den Expeditionen über die Ergebnisse
seiner Forschungsfahrten berichtet. Leider beschränkten sich die Beobachtungen
der Schwarzmeer-Asowschen-Fischereiexpedition nur auf die obersten Wasser-
schichten bis etwa 250 oder 300 m Tiefe und reichten nur in Ausnahmefällen
etwas tiefer (größte Beobachtungstiefe 600 m). Auf Grund qualitativer Analysen
einzelner ozeanographischer Schnitte, gestützt durch Beobachtungen an Flaschen-
posten und anderen Treibkörpern, hat Knipowitsch ein schematisches Bild der
Oberflächenzirkulation entworfen, das kürzlich (22) durch die dynamische Be-
arbeitung des vorhandenen Beobachtungsmaterials in seinen Grundzügen z. T.
bestätigt werden konnte. Wenn das von Knipowitsch angegebene Zirkulations-
schema im einzelnen die Strömungsverhältnisse auch nur sehr unvollkommen
wiedergibt, so besteht doch kein Grund, an der Richtigkeit der beiden getrennten
Teilwirbel im westlichen und östlichen Becken des Schwarzen Meeres neben
einer sie umfassenden zyklonalen Hauptströmung an den Küsten zu zweifeln, wie
dies in einigen neueren Arbeiten (sı) (12) geschehen ist und auch aus den
neuesten kartographischen Darstellungen (a7) hervorgeht.
Seit Februar 1923 wurden auch von der russischen Hydrographischen Haupt-
verwaltung und der Sewastopoler Biologischen Station der Akademie der Wissen-
schaften periodische Untersuchungen im ‚Februar, Mai, August und November
unter Leitung von E, F, Skworzow und W. N. Nikitin (sz) veranstaltet, die
seit 1924 durch Sommerexpeditionen (Juni, Juli) unter Leitung von J. M. Scho-
kalski ergänzt werden konnten. Die Beobachtungen sind zusammen mit einer
kurzem Beschreibung der Fahrten in den Abhandlungen der Hydrographischen
Hauptverwaltung (13) veröffentlicht, die aber leider eine Reihe von Druckfehlern
enthalten. An die Genauigkeit dieser Beobachtungen kann man nicht immer
sehr hohe Ansprüche stellen; doch haben diese Untersuchungen insofern Be-
deutung, als an einzelnen Stationen auch Tiefenmessungen gemacht wurden, die
Ann. dd, Hydr. usw. 1942 Halt 1.