Ableitung der Normaltemperatur der deutschen Stationen für die
Wetterberichte der Deutschen Seewarte,
(Mittheilung von der Deutschen Seewarte.)
Um cin richtiges Bild von dem augenblicklichen Witterungszustande eines
Ortes und eines Landes zu erhalten, ist die Vergleichung der jeweiligen Luft-
temperatur mit jener, welche zu derselben Jahreszeit in anderen Jahren ge-
herrscht hat, durchaus erforderlich. Die Aufnahme der Abweichungen der
Temperatur von der normalen in die Weiterberichte der Seewarte lag deshalb
von Hause aus im Plane, erforderte jedoch zu ihrer Durchführung die vorher-
gehende Berechnung von Normalwerthen der Temperatur für die in dem Bericht
enthaltenen Stationen. ei”
Unter Normalzierthen der Temperatur versteht man Durchschnittswerthe
aus einer. %Q \angen Reihe von Jahren, dass das Hinzutreten neuer Jahrgänge
in, beliebiger Anzahl dieselben nicht in merklichem, oder doch nicht in erheb-
lichem Maasse mehr modificiren — ein Resultat, welches freilich nur dann er-
reichbar ist, wenn keine fortschreitende Aenderung des Klimas vorhanden ist;
eine solche hat jedoch in der That, wenigstens für gemässigte Breiten, in
pistorischer Zeit noch von Niemand mit einiger Sicherheit nachgewiesen werden
önnen,
Neben’ dieser, wegen des relativ geringen Alters genauerer meteorologi-
scher Beobachtungen und wegen der Veränderlichkeit der lokalen Umstände
(besonders in wachsenden Städten), stets nur bis zu einem mässigen Grade
erreichbaren Bedeutung haben indessen Normaltemperaturen, bei Berechnung
derselben für ganze Stationscomplexe, die Bedeutung einer, wenn auch nicht
absoluten, so doch bei allen Orten möglichst vergleichbaren Nulllinie, von
welcher ausgegangen werden kann, wenn man die unperiodischen Aenderungen
der Witterung, die Störungen, in ihrer geographischen Verbreitung nach Aus-
schluss der constanten und periodischen klimatischen Unterschiede der ver-
schiedenen Orte erkennen will. Für die Wetterberichte der Seewarte, welche
bestimmt sind, die räumliche Ausdehnung gleichzeitiger Witterungsvorgänge,
so wie deren zeitliche Entwickelung, vorzuführen, mussten die letzteren Gesichts-
punkte bei der Berechuung der Normaltemperaturen hauptsächlich bestimmend
sein. Es handelte sich demnach ganz besonders darum, eine möglichst voll-
ständige Vergleichbarkeit der für benachbarte Orte und auf einander folgende
Tage erhaltenen Abweichungen von der Normalen zu erzielen, um die factische
Continuität und Gesetzmässigkeit in den Erscheinungen nicht durch die Ver-
schiedenheit der Ausgangspunkte zu verwirren und die zu liefernden Daten zu
Untersuchungen brauchbar zu machen. Weniger wesentlich für diesen Zweck
war, dem oben Gesagten zufolge, die Erreichung an und für sich möglichst lang-
jähriger Mittelwerthe für die Temperatur der einzelnen Tage und einzelnen Orte.
Die gewöhnlich zur Ermittelung der Abweichung der Temperatur der
Einzeltage von ihrem Normalwerthe angewandte Methode besteht darin,. dass
für jeden Ort aus möglichst vielen Jahrgängen direct die Mittel entweder für
jeden einzelnen Tag, oder für Gruppen von 3—5 Tagen abgeleitet, und diese
Mittel als Normalwerthe genommen werden. Da die Mitteltemperaturen der
einzelnen Tage noch im Durchschnitt von 50 und selbst 100 Jahren einen höchst
unregelmässigen Gang zeigen!) und auch nur von wenigen Orten berechnet und
publicirt vorliegen, so bedient man sich zu diesem Zwecke mehr der Mittel
von 3, 5 oder 10 Tagen und lässt dann meist für je 3 oder 5 auf einander
folgende Tage denselben Werth als normal gelten. Allein einerseits zeigen, wie
dieses z. B. aus der beiliegenden Tafel I ersichtlich ist, auch die Pentaden-
mittel aus 25 Jahren noch starke Sprünge in ihrem jährlichen Gange, andererseits
L
1) Vgl. die 25. und 110-jährigen Tagesmittel der Temperatur für Berlin auf Tafel II.
Ann, d. Hydr., 1878, Heft I (Januar).