3 Physikalische Ozeanographie
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Nordseezustand 2004
3.4 Temperatur
Zunächst werden die Oberflächentemperaturen der Nordsee im Jahr 2004 dokumen
tiert und statistisch eingeordnet. Im Abschnitt 3.4.2, S. 95 wird der Regimecharakter der
Oberflächentemperaturen (Loewe et al. 2003, 2005) erneut aufgegriffen und im Kon
text atmosphärischer Zirkulationsänderungen diskutiert. Im Anschluss wird die Tem
peraturschichtung der Nordsee anhand von Beobachtungen analysiert, die während
der Gesamtaufnahme der Nordsee mit FS Gauß im August 2004 angestellt wurden.
Der Abschnitt wird beschlossen mit einigen Bemerkungen zum Meereis an der deut
schen Nordseeküste.
3.4.1 Oberflächentemperatur
Die Oberflächentemperaturen der Nordsee werden im BSH seit September 1968 wö
chentlich analysiert. Eine Beschreibung der Analysetechnik findet man in Loewe et
al. (2003). Inzwischen umfasst das Archiv etwa 1900 digitale Temperaturfelder, die
auf einem flächentreuen 20 sm-Gitter vorliegen. Der Datensatz dokumentiert nicht nur
die raumzeitliche Entwicklung eines Schlüsselparameters des physikalischen Meeres
zustands in den vergangenen 36 Jahren; als Integrator des meteorologischen Antriebs
lässt sich die Meeresoberflächentemperatur auch zur Feststellung von Klimaänderun
gen in der Nordseeregion nutzen.
Einen regional differenzierten Einblick in die monatlichen Abweichungen der Oberflä
chentemperaturen der Nordsee von den klimatologischen Verteilungen des Zeitraums
1971 - 1993 bietet Abb. 3-18. Offensichtlich war die Nordsee das ganze Jahr über wär
mer als normal. Muster und Intensität der Temperaturabweichungen waren von Januar
bis April recht stationär; die lokalen Temperaturanomalien überschritten in durch
schnittlich 3/4 des Seegebiets 0.67 Standardweichungen, d. h. die obere Quartils
grenze der Gaußverteilung (75 % Perzentil). Diese relative Fläche reduzierte sich bis
Juli graduell auf 32 % und lag ab August für den Rest des Jahres 2004 bei durch
schnittlich 92 %. Die extremsten Abweichungen von der Klimatologie traten im August
und September ein, als die Temperaturanomalien großräumig (88 % des Seegebiets)
jenseits des 95 % Perzentils lagen. Anomalien unterhalb der lokalen Mittelwerte er
reichten im Juli eine maximale relative Ausdehnung von 22 % in der östlichen Nord
see, traten im Jahresdurchschnitt jedoch lediglich in 6 % des Nordseegebiets ein.
Aus den digitalen Analysen des Oberflächentemperaturfeldes wurde die Zeitserie der
Nordsee SST abgeleitet, die heute einen Beobachtungszeitraum von 37 Jahren ab
deckt. Das Jahr 2004 war mit 10.8 °C nach 2002,2003 und 1990 das viertwärmste seit
1968. Eine Rekordtemperatur von 9.1 °C im Dezember 2003 leitete einen deutlich zu
warmen Winter ein, dem sich ein mäßig zu warmes Frühjahr anschloss (Abb. 3-19). Die
Abweichung der Monatsmitteltemperatur vom Klimanormalwert war mit 0.3 K im Juli
am geringsten, wuchs sich jedoch bereits im Folgemonat zu einer hochsignifikanten
Warmanomalie von 2.1 K aus. Mit einer Mitteltemperatur von 17.1 °C belegte der Au
gust nicht nur Platz 5 in der Rangstatistik, sondern war auch zum dritten Mal in Folge
erheblich zu warm. Obgleich auch im weiteren jahreszeitlichen Verlauf keine neuen
Rekorde gesetzt wurden, dauerte die signifikante Warmanomalie bis zum Jahresende
an. Aus den geographischen Verteilungen der monatlichen Anomalien in Abb. 3-18 ist
ersichtlich, dass die Oberflächentemperaturen nicht nur ganzjährig, sondern auch na
hezu im gesamten Seegebiet über der Klimanorm lagen. Im Zeitraum 1988-2004
waren 78 %, seit 1997 sogar 90 % aller Monate wärmer als normal. Die bislang läng-