3 Physikalische Ozeanographie
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Nordseezustand 2004
3.4.3 Temperaturschichtung
Weite Gebiete der Nordsee sind im Sommerhalbjahr thermisch geschichtet. Diese
vertikale Temperaturschichtung bildet sich in tieferen Seegebieten aus, in denen sich
die am Meeresboden erzeugte Gezeitenstromturbulenz nicht bis in die winddurch
mischte Oberflächenschicht auswirkt. Hier werden in der Übergangszone teilweise ex
treme Temperaturgradienten von mehr als 10 °C innerhalb weniger cm gemessen. Die
saisonale Temperatursprungschicht wird als Thermokline bezeichnet und stellt für den
Energie- und Stofftransport eine Barriere dar, die im Extremfall vertikale Transporte
verhindert. Überlappen sich hingegen beide Vermischungszonen, tritt allenfalls kurz
zeitig ein thermischer Gradient in Oberflächennähe auf, der entweder durch den See
gang, oder aber durch nächtliche Abkühlung und Konvektion schnell wieder abgebaut
wird. Vertikale Temperaturgradienten können auch durch starke vertikale Salzgehalts
gradienten, wie sie in Flussmündungen oder im Bereich des baltischen Ausstroms auf-
treten, forciert werden.
Abhängig vom Wechselspiel zwischen thermischem Energieeintrag (Solarstrahlung,
fühlbarer Wärmestrom) und kinetischer Energiezufuhr (Windsee, auch Dünung) bilden
sich eine oder auch mehrere thermische Sprungschichten aus, deren Tiefen von Jahr
zu Jahr variieren. Gegenwärtig liegt für die Nordsee noch keine Klimatologie der
Sprungschichttiefe vor, da die »alten« hydrographischen Datensätze mit diskreten
Thermometern an den Nansen-Flaschen keine ausreichende Datenbasis bieten. Die
seit Sommer 1998 im Rahmen der jährlichen ozeanographischen Gesamtaufnahmen
der Nordsee mit dem geschleppten Delphin-System gewonnenen Messdaten erlau
ben inzwischen jedoch eine grobe Klassifizierung der Nordsee zu einer Jahreszeit, in
der die stärksten vertikalen Temperaturgradienten auftreten.
Im Sommer 2004 war die gut durchmischte Deckschicht (Abb. 3-24) ähnlich warm wie
im vorangegangenen Jahr und damit erheblich wärmer als im langjährigen Mittel (vgl.
Abb. 3-18, S. 93). Sie erstreckte sich über die gesamte Breite der Nordsee von der briti
schen bis zur kontinentalen Küste. Die Thermokline lag mit 20 - 30 m in vergleichs
weise großer Tiefe und wies einen kräftigen vertikalen Gradienten auf. Sie trennte das
teilweise über 17 °C warme Deckschichtwasser vom winterlich kalten Bodenwasser,
dessen Temperatur aber auch über dem langjährigen Mittel lag (Tomczak und Goede-
cke 1962).
Auf dem Schnitt entlang 55° N ist westlich der Doggerbank der >cold pool< erkennbar,
der jedoch durch eine warme Deckschicht gedeckelt wurde, so dass dort die Wahr
scheinlichkeit für das Auftreten von Nebel gering war. Über der Doggerbank selbst hat
ten sich trotz der geringen Wassertiefe schwache thermische Gradienten ausgebildet.
Die häufig geäußerte Ansicht, »über der Doggerbank tritt nie Schichtung auf«, erwies
sich erneut als unzutreffend.
Die während der großräumigen Nordsee-Aufnahmen im Zeitraum 1998-2004 auf
den Breitenparallelen erfassten Vertikalschnitte (z. B. auf 56 °N) zeigen erhebliche
zwischenjährige Unterschiede sowohl in der Intensität der Schichtung (Gradienten),
als auch in der Tiefenlage der Sprungschicht {Abb. 3-25). Während sich etwa im Som
mer 1998 nur eine schwache Thermokline ausbildete, fiel die Temperaturschichtung in
den Sommern der Jahre 2003 und 2004 sehr kräftig aus.