Die Deutsche Seewarte 1875 — 1945
Bereits kurz nach der Reichsgründung im Jahre 1871 hatten
Wilhelm v. Freeden und Georg Neumayer gemeinsam einen
Organisationsplan für die Deutsche Seewarte als kombi-
niertes nautisch-meteorologisches und hydrographisches In-
stitut auf der Basis der bestehenden Norddeutschen See-
warte entworfen. Sie sollte den Charakter einer dem Reichs-
kanzleramt unterstehenden Reichsanstalt erhalten und aus
zwei Abteilungen bestehen, aus der bisherigen Abteilung
für Seefahrt und einer zweiten Abteilung für Meteorologie,
Erdmagnetismus und terrestrische Physik. Der Entwurf
äußerte die berechtigte Hoffnung, daß das nun in Kraft und
Ansehen geeinte Deutschland diesen Bestrebungen seine
volle Unterstützung nicht versagen werde.
Es vergingen jedoch noch einige Jahre, bis dieses Reichs-
institut Wirklichkeit wurde. Neumayer wurde inzwischen
{am 1. 7. 1872) zum Hydrographen der Admiralität ernannt,
womit die stellvertretende Leitung des Hydrographischen
Bureaus in Berlin verbunden war. Dort entfaltete er eine
vielseitige Tätigkeit auf zahlreichen Gebieten der Nautik
und Hydrographie. In dieser Periode mag ihm die Schaffung
eines zentralen nautisch-hydrographisch - meteorologischen
Instituts in Gestalt einer Deutschen Seewarte unter Ein-
schluß des Hydrographischen Bureaus der Kaiserlichen Ma-
rine vorgeschwebt haben, doch ließ sich dieser Gedanke
Jamals nicht verwirklichen.
Die Deutsche Seewarte wurde am 9.1.1875 Reichsinstitut,
der Kaiserlichen Admiralität unterstellt und erhielt im
Januar 1876 Neumayver als ihren ersten Direktor. Wilhelm
von Freeden, der es abgelehnt hatte, in die neue Anstalt
als Abteilungsleiter einzutreten, verkaufte sein Institut an
das Reich und widmete sich anderen Aufgaben.
Von der Norddeutschen Seewarte wurde die Abteilung I,
Auswertung der Beobachtungen für die Seeschiffahrt (Segel-
anweisungen, Monatskarten, Seehandbücher, Ozeanhand-
bücher), übernommen. Die II. Abteilung, Meteorologie, und
eine II. Abteilung, Beschaffung und Prüfung von nauti-
schen Instrumenten, wurden neu geschaffen. Auf Antrag
Hamburgs kam noch eine IV. Abteilung für Chronometer-
prüfungen hinzu; sie leitete in Personalunion bis 1900 der
Direktor der Hamburger Sternwarte am Holstenwall,
Nach provisorischer Unterbringung im Seemannshaus konnte
die Deutsche Seewarte am 14. September 1881 in Anwesen-
heit von Kaiser Wilhelm I. ihr eigenes Dienstgebäude auf
dem Stintfang einweihen, das bald durch seine charakteri-
stische Form mit den vier Ecktürmen, aber mehr noch durch
den weltweiten Ruf, den sich das Institut erwarb, zu einem
Wahrzeichen von Stadt und Hafen wurde, bis es in den
letzten Tagen des zweiten Weltkrieges den Bomben zum
Opfer fiel.
Nach ihrer materiellen und organisatorischen Sicherung ent-
faltete die Seewarte unter der Führung Neumayers eine
weitreichende und äußerst erfolgreiche Tätigkeit in all ihren
Arbeitsgebieten und erreichte eine führende Stellung sowohl
in der Nautik wie in der maritimen Meteorologie und der
Meereskunde. An fast allen deutschen Polarexpeditionen
und an den großen ozeanographischen Forschungsfahrten
war sie beteiligt. Neumayer gehörte zu den Initiatoren des