4.4 Radioaktive Stoffe
Nordseezustand 2003
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• Aquatische Ableitungen aus den nuklearen Wiederaufbereitungsanlagen BNFL in
Sellafield (UK) in die Irische See und COGEMA am Cap de la Hague (F) in den
Kanal.
• Fallout nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl im April 1986.
• Ableitungen aus kerntechnischen Anlagen wie Kernkraftwerken und Forschungs
reaktoren.
Andere Quellen - wie etwa das im April 1989 in der Norwegischen See gesunkene
Atom-U-Boot >Komsomolets<, die im Nordostatlantik (bis 1982) oder in den arktischen
Randmeeren Barents- und Karasee (bis 1992) versenkten schwach-radioaktiven Ab
fälle, oder abgestürzte, mit nuklearen Energieerzeugern bestückte Satelliten - spielen
für eine mögliche Belastung der Nordsee keine Rolle. Auch erhöhte Einleitungen na
türlicher Radionuklide infolge industrieller Aktivitäten, z. B. bei der Produktion von
Düngemitteln, sind inzwischen in Europa von untergeordneter Bedeutung.
Die Aktivitätskonzentration langlebiger künstlicher Radionuklide in der Nordsee war
über viele Jahre überwiegend durch die kontrollierten und genehmigten Einleitungen
radioaktiver Abwässer aus den europäischen Wiederaufarbeitungsanlagen La Hague
und Sellafield bestimmt. Aufgrund der vorherrschenden Meeresströmungen und des
damit verbundenen Wassermassentransportes konnten etliche Radionuklide aus die
sen Einleitungen in Abhängigkeit von der Transportzeit auch nach mehreren Jahren
und in weit entfernten Gebieten nachgewiesen werden. Die Transportzeiten von La
Hague bzw. Sellafield (Irische See) bis in die Deutsche Bucht belaufen sich auf etwa
ein bzw. drei Jahre.
Internationale Anstrengungen haben bewirkt, dass die in den 1970er Jahren sehr ho
hen Einleitungen beider Wiederaufbereitungsanlagen seit langem auf ein deutlich re
duziertes Niveau zurückgegangen sind. Das Meerwasser der Nordsee ist deshalb in
zwischen nur sehr gering durch künstliche Radionuklide belastet. So nahm in der
mittleren Nordsee bis Ende der 1990er Jahre die Aktivitätskonzentration von 137 Cs
(Cäsium) mit einer strömungsbedingten Zeitverzögerung von zwei bis drei Jahren
kontinuierlich ab. Eine Ausnahme bildet das Tritium, weil beide Wiederaufarbeitungs
anlagen seit Jahren den Tritiumgehalt ihrer Einleitungen erhöhen. Da dieses Radio
nuklid aber praktisch in Meeresorganismen nicht angereichert wird, ist es für eine
Strahlenexposition des Menschen überden »Expositionspfad Meer« weitgehend irre
levant.
Die Anlage Sellafield erhöhte ab 1994 über einige Jahre deutlich die eingeleitete Ak
tivität von 99 Tc (Technetium). Dies rief heftige internationale Proteste hervor, weil das
sehr langlebige 99 Tc (T 1/2 = 213 000 Jahre) in oxischem Meerwasser in der chemi
schen Form als Pertechnetat (Tc0 4 ) vorliegt und mit dem Wasser über große Strecken
transportiert wird. Darüber hinaus wird es in Hummern und Braunalgen (z. B. Blasen
tang, Sägezahntang) sehr stark angereichert.
4.4.3 Geographische Radioaktivitätsverteilungen
Die Überwachung künstlicher Radioaktivität durch das BSH erstreckt sich in der Nord
see seit Jahren schwerpunktmäßig auf die Nuklide Tritium, 99 Tc, 137 Cs, 90 Sr und eini
ge Transurane ( 238 Pu, 239 Pu, 240 Pu und 241 Pu; 241 Am und 244 Cm). Diese Radionukli
de werden als radiologisch relevant für eine mögliche Strahlenexposition des
Menschen und der Natur angesehen.