4.2 Organische Schadstoffe
Nordseezustand 2003
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4.2 Organische Schadstoffe
4.2.1 Einführung
Der überwiegende Teil der heute bekannten 18 Mio. chemischen Substanzen sind or
ganische Verbindungen. Davon besitzen ca. 20 000 industrielle Bedeutung und wer
den in größeren Mengen hergestellt. Etwa 2 000 Verbindungen gelten als umweltre
levant (Schadstoffe), weil sie giftig (toxisch) oder in der Umwelt beständig (persistent)
sind und/oder sich in der Nahrungskette anreichern (bioakkumulieren) können. 100
bis 300 dieser Verbindungen sind z. Z. in Listen prioritär zu behandelnder Stoffe er
fasst (EU-Liste, EPA-Liste).
Die in diesem Bericht betrachteten Substanzen stammen aus industrieller Produktion
und gelangen durch menschliche Aktivitäten in die Meeresumwelt. Gegenwärtig über
wacht das BSH routinemäßig ca. 100 organische Schadstoffe, die aufgrund ihrer Um
weltrelevanz von besonderer Bedeutung sind oder als Leitsubstanzen für ganze
Schadstoffklassen angesehen werden (Theobald 1998). Unter den Schadstoffen fin
den sich viele Verbindungen mit polyzyklischen Strukturen (z. B. Polyzyklische Aro
matische Kohlenwasserstoffe (PAK) - wie Benzo(a)pyren) - und Stoffe, die Halogene
(Chlor, Brom, Fluor) enthalten.
Mit Ausnahme der HCH-Isomere sind die meisten Organochlorverbindungen ausge
sprochen lipophil (fettlöslich) und damit nur in geringem Maße wasserlöslich. Sie rei
chern sich daher besonders in Sedimenten und im Fettgewebe von Organismen an.
Da sie zudem oft hochgradig persistent sind, wird eine Akkumulation innerhalb der
Nahrungskette begünstigt. Die Anreicherung und damit Belastung eines Organismus
ist dabei um so größer, je hochrangiger seine Stellung in der Nahrungskette ist. Neben
der unmittelbaren toxischen Wirkung der aufgenommenen Substanzen können im Or
ganismus erzeugte Abbauprodukte zu einer Verstärkung der Schadstoffwirkung füh
ren.
Von besonderer Bedeutung sind Schadstoffe, die hormonelle Wirkungen (z. B. DDE,
Dieldrin, TBT) aufweisen. Diese als Umweltöstrogene oder Xenoöstrogene bezeich-
neten organischen Verbindungen sind hinsichtlich ihrer chemischen Zusammenset
zung und Struktur - und damit auch in ihren physikalischen und chemischen Eigen
schaften - sehr heterogen. Indem sie in die hormonellen Regelkreise von Organismen
eingreifen, sind Funktionsstörungen mit negativen Folgen für Fortpflanzung und Ent
wicklung möglich.
Anthropogene Schadstoffe sind im Meer ungleichmäßig verteilt und kommen in sehr
unterschiedlichen Konzentrationen vor. Diese Verteilungen hängen von vielerlei Fak
toren ab, wie ozeanographischen Zustandsvariablen, aber auch von den Quellen
(Schifffahrt, Industrie, Haushalt, Landwirtschaft), den Eintragsmengen und Eintrags
pfaden (direkt über Flüsse, diffus über Atmosphäre) sowie den charakteristischen
physikalischen und chemischen Eigenschaften und der Stabilität der Schadstoffe. All
diese Einflussgrößen können von Stoff zu Stoff sehr verschieden sein. Aus diesen
Gründen verhalten sich die meisten Schadstoffe selten konservativ, d. h. ein einfacher
Zusammenhang zwischen der Konzentration anthropogener Stoffe und den hydrody
namischen Variablen ist selten erfüllt. Allenfalls für regional begrenzte Gebiete mit kla
ren Quellenzuordnungen lassen sich einfache Korrelationen finden und nutzen. Für