Nordsee und Deutsche Bucht 2002
BSH
63
3.6 Elbehochwasser
Die Sommerüberschwemmungen in Europa - ein Jahrtausendhochwasser? fragt die
Münchner Rück (2003). Denn einerseits gingen die katastrophalen Überschwemmungen im
Einzugsgebiet der Elbe mit massiven Überschwemmungen in weiten Teilen Europas einher
(Südfrankreich, Norditalien, Österreich, Tschechien ..., vgl. Abb. 3-14), andererseits sind
vergleichbare Überschwemmungskatastrophen nur aus dem Mittelalter bekannt (z.B. A.D.
1342, vgl. Tetzlaff et al. 2001). Für Deutschland waren die Überschwemmungen in 2002 mit
volkswirtschaftlichen Schäden von 9.2 Mrd. € die teuerste Naturkatastrophe in der Geschich
te des Landes.
Der Begriff Jahrhunderthochwasser (JH) beinhaltet, dass solche Ereignisse auf Basis der
Extremwertstatistik nur einmal in 100 Jahren zu erwarten sind. Tatsächlich sind in Deutsch
land allein in den vergangenen 10 Jahren fünf Hochwasserereignisse eingetreten, denen das
Attribut JH zuteil wurde (Grieser und Beck 2003): Rhein (Dez. 93 und Jan. 95), Oder (Jul.
97), Donau (Mai 99) sowie Elbe und Donau (Aug. 2002). Die Wahrscheinlichkeit für ein JH in
Deutschland in einem beliebigen Jahr sei p = 1%, dann ist diejenige für das Nichteintreten
eines derartigen Ereignisses offensichtlich 100 - p = 99%. Die Anzahl der JH (= x) in einer
Stichprobe N unabhängiger Jahre ist eine Zufallsvariable, die eine Binomialverteilung mit den
Parametern p und N hat. Die Wahrscheinlichkeit für x = 5 in N = 10 Jahren ist mit 1:42 Mio 3-
mal geringer als ein Hauptgewinn im Samstagslotto.
Die rezente Häufung von JH ist ein starkes Indiz für die Instationarität der zugrunde liegen
den Extremwertstatistik (vgl. dazu Abschnitt 2.3.4), die in Anbetracht der nachweislichen
Zunahme von Starkniederschlägen (Rudolf und Rapp 2003) plausibel erscheint. Ein intensi
vierter Wasserkreislauf, der direkt an erhöhte Energieumsätze in der Atmosphäre gekoppelt
ist, gehört zu den wichtigsten Ergebnissen der Global-Warming Projektionen numerischer
Klimamodelle.
3.6.1 Meteorologischer Hintergrund
Die katastrophalen Überschwemmungen der Elbe waren Folge einer ungünstigen Verkettung
verschiedener meteorologischer Faktoren in einer außergewöhnlichen Wetterlage. Diese
sog. Vb-Lage, eine Bezeichnung für eine besondere Zugstrasse von Tiefdruckgebieten, löste
mit Extremniederschlägen auch das Oderhochwasser im Juli 1997 aus.
Kennzeichnend für den Hochsommer 2002 war ein stationäres Hochdruckgebiet über
Fennoskandien, welches nicht nur die extreme Erwärmung von Nord- und Ostsee bedingte,
sondern insbesondere die entlang der atlantischen Polarfront ostwärts wandernden Zyklo
nenwellen blockierte und zur Aufspaltung und zum Ausweichen in die Arktis und den Mittel
meerraum zwang. Die stark mäandrierende Meridionalzirkulation über Europa zeigte sich
insbesondere in wiederholten hochreichenden Kaltluftvorstößen, die in scharfen Trögen, von
denen sich selbstständige Wirbel abschnürten (Kaltlufttropfen), bis Nordafrika ausgriffen. Der
geschilderte Sachverhalt spiegelt sich in hohen Niederschlägen über Südeuropa sowie Nord
norwegen und Spitzbergen {Abb. 3-14).
Durch kräftige Regenfälle im Einzugsgebiet der Elbe in den vorangegangen Wochen waren
der Boden bereits tief wassergesättigt und die Flusswasserstände hoch, bevor das desa
ströse Niederschlagsereignis am 12. August eintrat. Die ursächliche synoptische Wetter
entwicklung wurde von Steinacker (2002) fundiert beschrieben und bildet hier die Basis einer
Kurzfassung.
Ein massiver Kaltlufteinbruch durch den Trichter zwischen Pyrenäen und Westalpen ins
westliche Mittelmeer löste am 10. August im Golf von Genua - unterstützt durch die Lee-